miromente 17
miromente 17 - September 2009
JOHANNES WITEK
Emotionsarbeit
KURT BRACHARZ
Über einige Dinge, die sich zugetragen haben
JÜRGEN LANDT
ohne fangschuß anbei
ANDREA GRILL
Joan
DANIELA EGGER
Die Flutwellen
WOLFGANG MÖRTH
F. M. Felder autogen
RASPUTIN GABRULOWITSCH
La Rencontre de Vienne
ULRICH GABRIEL
Kunstdiskussion
LESEPROBE aus:
EMOTIONSARBEIT
von Johannes Witek
Lacrimae Rerum
Der Elektroinstallationstechniker Ewald A.
entdeckte eines Nachmittags zufällig,
dass er die geheimnisvolle Fähigkeit erworben hatte,
den Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung
das Äquivalent zu heftigen, unsichtbaren Stromstößen
zu verpassen, indem er Daumen und Zeigefinger der
rechten Hand zusammenpresste und dabei deutlich
an die entsprechende Person dachte.
Augenblicklich wurde diese dann
von heftigen Zuckungen erfasst und
zu Boden geworfen,
ohne wissen oder ahnen zu können,
woher der Angriff kam.
Nachdem sich das Erstaunen über diese Entdeckung
beim Elektroinstallationstechniker Ewald A.
gelegt hatte und am wiederholbaren Erfolg
seiner neuen Fähigkeit kein Zweifel mehr
bestehen konnte,
schienen sich ihm neue Dimensionen der
Gerechtigkeitsfindung aufzutun.
Insbesondere dachte er in dieser Hinsicht
sogleich an Verkehrspolizisten, seinen Vater,
ein, zwei Männer aus dem Sportverein
und einen ehemaligen Lehrherren von ihm:
einen großen, adipösen Mann mit
schlechter Haut,
kleinen, schwammigen Händen
und prognathischem Profil,
der vor allem in Gegenwart von Frauen
stets vollends ausgerastet war.
Ja, dachte Ewald A. nach Feierabend
auf dem Heimweg: ob Gott, Magnetismus
oder Außerirdische: Die Welt wird jetzt
ein besserer Ort werden.
Warum er allerdings
nicht wesentlich lange darauf
an einem Obststand
einem etwa elfjährigen Mädchen mit
bereits irritierend stark entwickelten Brüsten
dabei zusah, wie sie sich auf dem Boden
zu Tode zuckte,
bleibt ungeklärt
so wie letztlich auch der Ursprung
seiner Begabung.