miromente 23
miromente 23 - März 2011
CHRISTOPH KELLER
Grand Canyon
REGINA GÖTZ
Affen-Lese
EGYD GSTÄTTNER
Mein bestes Stück oder: Der den Ast ißt
GABRIELE BÖSCH
Hochmut
WOLFGANG MÖRTH
Der Mann da bin nicht ich
NADINE KEGELE
Wer liebt wen wie lange warum
KURT BRACHARZ
Zurück zum Start
DANIELA EGGER
Der erste Mensch
LESEPROBE aus:
Wer liebt wen wie lange warum
von Nadine Kegele
1
Von vorn beginnen ist nur in Filmen möglich, oder Büchern, doch Bücher liest sie keine und für Filme hat sie kein Abspiel- gerät. Was sie hat ist eine Garconniere, klein und überteuert, einen Blick auf die barock beschnittene Allee des städtischen Parks und die Aussicht darauf, dass er sich doch noch für sie entscheiden wird, irgendwann, vielleicht. Dann ist da noch ein Kontrabass, ein Erbstück ihrer Mutter, eigentlich von deren Vater, den sie innig liebt, also den Bass, den Großvater hat sie ja nicht gekannt, und Nazi gewesen war er außerdem.
Das nicht gerade kleine Instrument passt auf eine eigentümliche Art zu dieser nicht gerade großen Frau, abge- sehen von derselben Farbe, sie rotbraun, es rotbraun, haben sie beide eine ähnliche Figur, birnenförmig, so, wie man Frauen nachsagt, dass sie gerade richtig seien, was dran nämlich, oben, die Brüste, am Besten noch zwei, unten, ein gebärfreudiges Becken. Die Gebärfreude kann sie kaum nachvollziehen, weil sie Schmerzen nicht mag und Kinder schon gar nicht. Dafür mag sie Katzen. Die ihren lassen sich im Moment die Sonne auf die fetten Bäuche scheinen auf dem Dachvorsprung, von dem sie früher oder später abrutschen, in den Hof fallen und es nicht überleben werden. Fett sind sie, weil sie bloß Dach haben, keinen Ausgang.
Der Kontrabass liegt in seinem schwarzledernen Hart- schalenkoffer und verhält sich ruhig, weil er nicht gespielt wird, der Koffer steht an der Wand in einer der vier Ecken der Ein-Zimmer-Wohnung. Von vor dem Fenster ist ein Jammern zu hören. Das ist die eine Katze, jene, die immerzu zu ver- stehen gibt, wie bemitleidenswert sie sei, und nichts zu hören von der anderen, jener, die stoisch mit Mitleid nichts am Hut hat.
2
Nun sitzt sie also zuhause und liest kein Buch. Der Kontrabass im Koffer, die Katzen auf dem Dach. Im Kühlschrank nichts von Interesse und in ihren Händen eine Jumbotasse Ingwer- tee, weil Ingwer ist für alles gut, für krank, für Entzündungen, den Stoffwechsel. Das scharfe heiße Wasser rinnt ihren Gau- men hinab und wärmt sie von innen, was praktisch ist, weil von außen wird sie von gar nichts gewärmt, da die Heizung Geld kostet, das sie nicht hat. Arbeit hat sie übrigens auchkeine, und da gibt es nun sicher einige, die hergehen und sich mokieren und sagen, dass sie eine Last sei für das System, andere für sich arbeiten und es sich nutznießerisch mit dem Reichtum Mindestsicherung gut gehen, ja sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließe, aber das mit der Sonne hatten wir schon. In Wirklichkeit sitzt sie vor ihrem französischen Fen- ster, blickt auf die penible Formalität des Parks unter ihr, findet das Strenge dieser Gartenanlage peinlich und aber den Herbst wunderschön in all seinen Farben, gelb zum Beispiel, oder blutbuchenrot, und orange wie die Frucht, die sie jetzt auch gerne hätte. In ihrem Kopf sitzt wieder die Depression, die hier nicht nur auf dramatisch so klingt, sondern tatsäch- lich so ist und die Tabletten machen die Sache zwar besser, doch nicht gut, und der Umstand, dass sie auf ihn wartet, wo sie doch weiß, dass er nicht kommt, auch nicht.
3
Warum er nicht kommt ist ihr schleierhaft, weil er, nach Inter- pretation, ihrer, und Selbstaussage, seiner, doch ganz wild ist nach ihr. Er hat gesagt Kinder und so und sie hat nicht gesagt keine Kinder und so, weil sie ihn zuerst an sich binden wollte, damit die Sache mit den Kindern dann nicht so sehr ins Ge- wicht fiel, weil das, klar, schon eine gewichtige Sache war. Es läutet an der Tür, sie verschluckt sich am Tee und spielt mit dem Gedanken, nicht zu öffnen, doch da trägt ihr gebärfreu- diges Becken sie auch schon durch den Raum, Tür auf, und er ist es natürlich aber nicht. Nachdem sie die Tür wieder schließt, es ist unwichtig, wer es war, geht sie und zieht sich ihr Haus- gewand aus und ihr anderes an. Ihr anderes meint nach allem drunter auch den Wintermantel drüber, den sie, eigentlich schlau, im Frühling eingemottet unter ihr Bett geschoben und nun wieder hervorgeholt hat. Doch das Gegenteil war der Fall, anstatt ihn in Sicherheit gebracht zu haben, fraßen sich weiß- gerippte Maden all you can eat durch den wollenen Stoff. Sie hat die Würmer beschimpft in der ersten erschrockenen Wut, was ihr zwar besser tat, den Maden aber egal war, dann hat sie sie eingesaugt und die Hartnäckigen in der Waschmaschine ertränkt. Nun schultert sie den Kontrabass, der in der Ecke gelehnt auf Ausgang wartet, was ein lustiges Bild ist, weil ihr das Instrument, das im Koffer nur zu erahnen ist, eine gewisse Größe verleiht, nämlich sie augenblicklich schrumpfen lässt, optisch natürlich nur.
(...)