miromente 29
Bisher hat keine der miromente-Nummern mit einem Vorwort begonnen. Wir dachten, weniger Platz für Editorisches, mehr für Literatur. Ein paar Mal gab es kleine Randnotizen, links von da, wo Sie gerade am Lesen sind, also dort, wo jetzt die für das Überleben unserer Zeitschrift wesentlichen Fakten aufgelistet stehen. Und mit mehr nichtliterarischen Informationen werden wir unsere Leser auch in Zukunft nicht belästigen.
Diese Ausnahme machen wir aus zwei Gründen: Erstens, weil die Nummer 29 die erste ist, deren Texte ein gemeinsames Thema haben, besser, einem gemeinsamen Impuls folgen, zweitens, weil wir diese Nummer nicht nur an unsere Abonnenten, sondern an einen erweiterten Kreis von potentiell Interessierten verschicken, der vermutlich zum großen Teil die miromente noch nicht kennt.
Zuerst zum Thema: Es lautet Reading Ed Ruscha, also wie der Titel der Sommerausstellung 2012 des Kunsthauses Bregenz. Wir waren uns mit den Ausstellungsmachern sofort einig, dass bei diesem Titel und diesem Künstler eine Zusammenarbeit zwischen KUB und miromente besonders sinnfällig wäre. Als Ed Ruscha sich auf Anfrage des KUB bereit erklärte, uns zu diesem Zweck ein paar seiner Arbeiten zum Abdruck zur Verfügung zu stellen, luden wir Autorinnen und Autoren aus unserem Umfeld ein, auf Ed Ruschas Kunst bzw. auf seine Bregenzer Ausstellung in welcher Form auch immer literarisch zu reagieren. Wir haben nur Schriftsteller gefragt, keine ausgewiesenen Kunstexperten, nur subjektive, impulsive, kritische, wohlwollende, launische und alles in allem natürlich interessierte Kunstbetrachter, das heißt, Ausstellungsbesucher und -besucherinnen wie andere auch. Einer der Angefragten hatte keine Zeit, einer konnte mit dieser Kunst nichts anfangen, das darf man ja ruhig sagen, sonst nahmen alle den Auftrag sofort und gern an.
Ergebnis: Überraschend erzählerisch. Eine Kunst der leeren Bücher provoziert Schreibende offenbar, sie mit Geschichten zu füllen. Oder anders gesagt: Auf ein Gegenüber, das eher wortkarg wirkt, reagiert man mitunter gesprächig. Oder vielleicht ist Ed Ruschas Kunst einfach eine gute Zuhörerin, unaufgeregt, ruhig, eine ideale Stichwortgeberin. Wobei Stichwort gar kein schlechter Begriff ist, wenn ich es mir recht überlege. Taugt als Titel. Was immer Stechen im Zusammenhang mit Wörtern bedeutet. Der Druckgrafiker Ruscha dürfte es wissen. Eine Technik des Hervorhebens vermutlich. Jedenfalls sollte das Gestochene wichtig sein, in Erinnerung bleiben. Wie beim Tätowieren. Nur dass hier kein Blut fließt. Was nicht ganz stimmt. Eines der ganz frühen Bücher Ruschas präsentiert verschiedene Materialproben. Blut ist auch dabei. Blut als ein Element, ordentlich neben andere gestellt. Neben Sperma zum Beispiel. Eine Ordnung, die alle Arbeiten von Ed Ruscha kennzeichnet. Sogar die Bilder, die er zu Jack Karouacs Roman On The Road gefunden hat. Hervor gehobene Gegenstände. Kein illustrierter Drogenrausch, keine wilde Suche nach sexueller Befreiung, sondern da ein Autoersatzteil, dort ein umgefallenes Bierglas. Stichwörter. Schwarz auf Weiß. Und frei gestellt, wie der Grafiker sagt. Was die Autorinnen und Autoren dieser Nummer dazu sagen: Lesen Sie.
Wolfgang Mörth
miromente 29 - September 2012
WOLFGANG MÖRTH
Reading Ed Ruscha: Stichwörter
ED RUSCHA
Reading Ed Ruscha
WOLFGANG HERMANN
Im Bild sein, und dann doch nicht
EVA SCHMIDT
Ein amerikanisches Abenteuer
MARJANA GAPONENKO
NUK der Zukunft
GABRIELE BÖSCH
Umgehängt, angesteckt
SARAH RINDERER
Kilometerflackern
DANIELA EGGER
Das Buch der Wandlungen
PETER WAWERZINEK
Als ich den Mund öffnete
EGYD GSTÄTTNER
Mutmaßungen über ein leeres Buch
LESEPROBE:
Ein amerikanisches Abenteuer
von Eva Schmidt
Im August 1978 unternahm ich mit meinem damals achtjährigen Sohn eine Amerikareise. Ein gerade fällig gewordener Bausparvertrag machte es möglich, dass wir ein paar Wochen unterwegs sein konnten. Beim Betreten des Ausstellungsraums im 1. Stock des Kunsthauses Bregenz mit Ruschas Fotoarbeiten zu Kerouacs »On the road« fühlte ich mich an unsere damalige Reise erinnert. Kerouac begann seine Arbeit an »On the road« 1948, Ed Ruscha war damals 11 Jahre alt, das Buch erschien 1957, möglich, dass Ruscha den Roman bereits damals gelesen hat. Möglich, dass dieser Roman mit seiner flirrenden Aufbruch- und Freiheitsstimmung ihn ebenso geprägt hat wie mich wenige Jahre später. Meine Erinnerungen an die Amerikareise mit M. bestehen aus einzelnen Bildern. Es sind mehr Standbilder, nichts Zusammenhängendes, Details, die wie in einem Filter hängengeblieben sind, kleine Ausschnitte, deren Selektion nach mir nicht nachvollziehbaren Gesetzen erfolgte.
Erstes Bild – M. und ich verlassen die Ankunftshalle des Kennedy Airports. Es ist unerträglich heiß. Kein Schat- ten. Asphalt, Hinweisschilder, Reisende mit Rucksäcken, Koffern und Taschen. Vermutlich warten wir auf einen Bus. Ich halte M.‘s Hand. Seine Finger sind klebrig und verschwitzt, ebenso wie meine.
Zweites Bild – Wir steigen aus einem U-Bahn-Schacht, ich nehme an, in der Nähe des Broadways. M. hat einen kleinen, ich einen großen Rucksack umgeschnallt. Das Licht blendet, wirft lange Schatten. Die Wolkenkratzer, die wir zum ersten Mal sehen, scheinen auf uns einzustürzen.
Drittes Bild – Das Hotel President, in dem M. und ich in Manhattan wohnen, liegt in der Nähe des Times Square. Auf einer oder zwei Etagen des ziemlich verwahrlosten Hotels befinden sich Notunterkünfte für Frauen und Kinder hauptsächlich afroamerikanischer und puertoricanischer Herkunft. M. und ich haben ein Zimmer im 8. Stock. Abends sind wir todmüde vom Herumlaufen in der Stadt. Während wir im Zimmer, in dem die Klimaanlage entweder laut rattert oder gar nicht funktioniert, unsere mitgebrachten Brötchen, Pizzen oder Würstchen essen, sehen wir fern. In den Nach- richten wird von einem Banküberfall berichtet, bei dem eine Angestellte und ein Passant auf dem Gehsteig vor der Bank erschossen worden sind. Es ist die Bank gleich um die Ecke, neben unserem Hotel.
Viertes Bild – M. und ich sitzen im Fond eines Taxis.
Ich erinnere mich nicht mehr, wohin wir unterwegs sind.
Die Straßen sind belebt, der Verkehr rollt langsam. Die Fenster sind geöffnet. Der Fahrer plaudert ein wenig mit uns. M. und ich sind neugierig, wagen in der typischen Zurückhaltung von Provinzbewohnern aber kaum, Fragen zu stellen. Es knallt, automatisch ducken wir uns, der Fahrer gibt Gas. Keiner sagt etwas. Schon nach kurzer Zeit fährt das Taxi im üblichen, gemächlichen Tempo weiter. Vorsichtig schaue ich zurück. Ich vermute ein Einschussloch in der Rücklehne der hinteren Sitzbank, kann aber nichts erkennen.
Fünftes Bild – M. und ich im Greyhoundbus nach Massachusetts. Wir schlafen, essen, trinken im Bus. Der Geruch von Diesel. Die Vorstellung einer tagelangen Reise, die in Wirklichkeit nicht mehr als 4 bis 5 Stunden gedauert haben kann. Unscharfe Erinnerungen an kleine Siedlungen, Wochenendhäuser, einen Leuchtturm, Dünen, den
kalten Wind am Atlantik.
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