miromente 37

Lyrik, lyrische Prosa, Kurzprosa, Kurzgeschichten. Genres, die vermeintlichen Markgesetzen entsprechend kaum mehr in Buchhandlungen angeboten werden und deswegen der Aufmerksamkeit des Publikums weitgehend entzogen sind. Eine Literaturzeitschrift wie die miromente gehört zu den Refugien dieser verdichteten Formen der literarischen Weltwahrnehmung. In dieser Nummer präsentieren wir die mit dem Vorarlberger Literaturpreis 2014 ausgezeichneten Gedichte Stephan Alfares, ein Langgedicht der Publikumspreisträgerin beim heurigen Ingeborg-Bachmann-Preis Gertraud Klemm, Kürzesttexte des Oberbayern Rupprecht Mayer und Kurzprosa des jungen Oberösterreichers Michael Moser, der damit zum ersten Mal literarisch in Erscheinung tritt. Die Zeichnungen sind von Mariella Scherling, deren Ausstellung Autoritratto noch bis Oktober 2014 im Vorarlberg Museum läuft.

Wolfgang Mörth

miromente 37  -  Oktober 2014

 

MARIELLA SCHERLING
Zeichnungen

STEPHAN ALFARE
Edelmetallstunden

GERTRAUD KLEMM
Silberberg

RUPPRECHT MAYER
Der Eindringling

MICHAEL MOSER
Genehmigung eines Steckenpferds

DANIELA EGGER
Die Krise

WOLFGANG MÖRTH
Der Sturz


  

LESEPROBE:

Beherrschung

von Michael Moser

 

Ich war Landesmeister im Boden- und Geräteturnen, ich muss mich also an dieser Stelle nicht beweisen. Auf Geräten war ich ein Gott, am Boden unschlagbar. Aber du, was hast du bis jetzt geleistet? Du kannst nicht einmal die gängigsten Turngeräte beim Namen nennen. Dir muss alles immer möglichst umständlich erklärt werden, und du merkst dir nichts. Im Kopf hast du es nicht, in den Beinen hast du es nicht, in den Knochen bist du ganz verträumt. Nimm dir doch ein Beispiel! Schwing dich auf das Gerät, das keinen Fehler verzeiht, oder stemme das Gerät, das schwerwiegend ist. Oder schau dir einmal dieses Gerät an, das noch nie bezwungen wurde: Es glänzt, hat viele Griffe und ist auf der einen Seite flauschig und rund, auf der anderen Seite aus unnachgiebigem Material.
Vom Gerät, das sich alles merkt, rate ich ab; das ist nichts für Anfänger. Das Gerät, das zurückschlägt, empfehle ich genauso wenig, es ruft Allergien hervor. Auch das Gerät, das sich den Übungen entzieht, ist Könnern vorbehalten. Aber das Gerät, das keine Gnade kennt, kann gerade Neulingen wertvolle Lektionen austeilen. Es ist eines meiner Lieblingsgeräte.
Wenn wir weitergehen, sehen wir Spezialgeräte. Etwa dieses hier, das keine Ruhe gibt. Oder das kleine dort, das die Temperatur hält. Das Gerät, das Fragen aufwirft, ist leider außer Betrieb. Der Zeugwart vernachlässigt dieses Gerät systematisch.
In der Nische stehen vor allem Geräte, die früher einmal beliebt waren, zum Beispiel das sanfte Gerät, das Gerät ohne Fehler, oder das Gerät, das immer recht hat. Das Gerät mit den vielen Merkmalen wird bald ausgemustert; es ist museumsreif. Das Gerät zum Verschieben und Verankern der Geräte zählt nicht zu den Geräten, die bespielt werden. Es hat aber auch einen gewissen Reiz.Wir kommen zu den Sonderanfertigungen. Das Gerät, das es noch nie gab, steht gleich neben jenem Gerät, über das wir nicht sprechen. Das selbstreinigende Gerät hat hier eigentlich nichts verloren, es gehört in die Mitte.
Abschließend zu meiner Person noch ein paar Details. Ich habe alles erreicht, was mit Geräten möglich ist. Mehr noch: Auf dem Gerät, das keinen Zweifel offen lässt, erbrachte ich Leistungen, die über alle Begriffe gehen.