miromente 42
Wir freuen uns über 10 Jahre miromente.
Mit dieser Ausgabe erinnern wir noch einmal an den Start des Projekts, als nur die drei Herausgeber und die Herausgeberin mit ihren Geschichten vertreten waren, um sich beim Publikum vorzustellen. Sie enthält Texte von Kurt Bracharz (von dem auch die Collagen stammen), Daniela Egger, Ulrich Gabriel und Wolfgang Mörth, jener vier also, die im Herbst 2005 beschlossen haben, den Beweis anzutreten, dass in Vorarlberg eine Literaturzeitschrift ohne Landesförderung möglich ist.
Wir danken bei dieser Gelegenheit allen, die miromente mit uns gemeinsam bis heute möglich machen. Unseren 500 Abonnent_innen, die das Projekt finanzieren, den Autor_innen, die uns ihre Arbeit seit 10 Jahren gratis zur Verfügung stellen und Clemens Schedler, dessen typografische Gestaltung unseren Auftritt bis heute entscheidend unterstützt.
Wolfgang Mörth
miromente 42 - Jänner 2016
KURT BRACHARZ
Nordherbst 2013
KURT BRACHARZ
Collagen
ULRICH GABRIEL
Die offenen Münder in Bad Deutsch-Altenburg
WOLFGANG MÖRTH
DIE KIE$GRUBE
DANIELA EGGER
Endlich eine schöne Geschichte
Leseprobe:
Die offenen Münder in Bad Deutsch-Altenburg
von Ulrich Gabriel
Im Kurpark Ludwigstorff in Bad Deutsch-Altenburg entdeckte ich während eines Spaziergangs zum Donauufer plötzlich hölzerne Münder an den Bäumen. Es waren nichts anderes als eigentümlich verwachsene Astlöcher, die über viele Jahre aus den abgehauenen großen Ästen entstanden waren. Im Originalzustand am Baum glich so ein „Mund“ (Spalt) aber eher einem Pudendum femininum (Vulva), dessen Verwandtschaft mit dem Mund ja bekanntermaßen gegeben ist. Lippen, Speichel, Mund, Schlund. Nun hätte wohl so mancher Mann sich daran wesentlich mehr ergötzt und künstlerisch oder erotisch erfreut als ich es tat, mir erschienen die Vulvae interessanter, wenn ich sie um 90 Grad drehte, sodass tatsächlich Münder daraus wurden, oft mit dicken Lippen und ungewöhnlichen Ausformungen.
Hölzerne Münder gaben mehr her als hölzerne Vulvas. So ging ich ab diesem Zeitpunkt mit schiefem Kopf durch den Park und entdeckte einen hölzernen Mund nach dem andern. Sie sahen aus, als wären sie im Sprechen erstarrt, berührten mich eigentümlich, ich konnte mich nicht entziehen. Die Gebilde hatten etwas Geheimnisvolles. Ich sah sie nicht nur an, sondern hielt auch ein Ohr hin, ob aus dem schwarzen Schlund nicht doch etwas zu vernehmen sei.
„Sophie, mein Henkersmädel“ schien aus dem ersten Mund zu tönen , komm küsse meinen kahlen Schädel, zwar ist dein Mund ein tiefer Schlund, doch du bis gut und edel“. Morgensterns Galgenlieder meldeten sich. Was verbergen sie? Wollen sie mir etwas zeigen?
Sie leben. Der Baum nährt sie. Warum? Wer sind die offenen Münder mit den großen aufgedunsenen Lippen, in Holz erstarrt, nicht tot aber auch nicht richtig lebendig.
Sind es Sänger, die vor vielen Jahren aus irgendeinem unerklärlichen Grund mitten im Singen zu Bäumen erstarrt sind und heute hölzern im Park stehen?
Ich beschließe, mich ihnen anzunähern. Ich werde ihnen aus diesem Grund Namen geben. Ich will sie benennen wie Morgenstern seine Könige.
„Wer heißt schon, man nennt ihn.“ Weibliche und männliche Namen sollen sie bekommen. Damit begann leicht und phantastisch ausufernd eine Geschichte, die sich aber ganz woanders hin entwickeln sollte, als ich mir vielleicht gedacht hatte. Das Leichte birgt Schweres, zur Oberfläche gehört das Darunter, zum Humor die Tragik.
Die Donaulandschaft mit der riesigen flüssigen Schlange Donau, die sich durch die Auwälder windet, die langen Schneckenschiffe, die langsam vom Schwarzen Meer heraufkriechen und schnell hinuntertreiben, die überall angepriesene ausgegrabenen und ausgestellten römischen Reste um Petronell und Deutsch Altenburg, die starke Schwefelquelle, der Kurpark und das Kurhotel, das Rhombergs aus Dornbirn gehört, d.h. der Frau Ludwigstorff, die Manfred Rhomberg, der heute 92 Jahre zählt und im nahegelegenen Schloss Ludwigstorff wohnt, die vielen Gesundheitsvergnügungen und Zerstreuungen für die Kurgäste, Bratislava in geringer Entfernung und vieles andere mehr bringt leichte kulturelle Ablenkung und neue Eindrücke für den Gestressten und von allerlei körperlicher Mühsal gequälten Kurgast. Das ist das Umfeld des Kurparks mit den hölzernen Mündern, das Auftrefffeld dieser Geschichte.
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