miromente 44

Zum Inhalt dieser Nummer: Erstmals in der miromente vertreten ist die Wiener Dramatikerin Claudia Tondl, deren Texte für das aktionstheater ensemble dem aufmerksamen Publikum allerdings bekannt sein dürften. Einen bemerkenswerten Sonderfall haben wir mit dem Erscheinen der Erzählung Falkenschlag von Anne Kersgaard zu vermelden, und zwar weil bei uns sonst„ungefragt eingesandte Manuskripte zwar gelesen aber nur sehr selten veröffentlicht werden.“ Tradition hat es bereits, dass wir Ausschnitte aus den Siegertexten des Vorarlberger Literaturpreises präsentieren, im heurigen Jahr haben sich den Preis Gabriele Bösch und Petra Nachbaur geteilt. Die Zeichnungen, inspiriert von Reisen durch den Iran und Indien, hat uns Bianca Tschaikner zur Verfügung gestellt, wir freuen uns sehr, sie damit im Kreis der miromente-Künstler_innen begrüßen zu dürfen. Darüber hinaus begegnet unsere Lesergemeinschaft in diesem Heft mit Constantin Göttfert, Egyd Gstättner und Christian Zillner drei alten und mit Linda Achberger einer jungen Bekannten.

Achtung! Der handgebundene Sammelband miromente 23 bis 32 ist da. Wieder im Schuber zusammen mit einer Künstlermappe, dieses Mal mit Original-Zeichnungen bzw. -Grafiken von Roland Adlassnig, Markus Getzner, Regina Götz und Kirsten Helfrich .

Und nach Das Reich der Mitte (Theaterstück) von Max Lang und Strohhalm in Luzifers Schweif (Erzählungen) von Marjana Gaponenko erscheint demnächst unter dem Titel Standardabweichungen der dritte Band der edition-miromente mit Gedichten von Maya Rinderer.

Bestellungen von miromente, edition-miromente und der drei bisherigen Sammelbände unter:

info@miromente.at

Wolfgang Mörth

miromente 44  -  Juli 2016

EGYD GSTÄTTNER
Nachts nichts

BIANCA TSCHAIKNER
SAVARI

CONSTANTIN GÖTTFERT
Spiel der Krähen

CHRISTIAN ZILLNER
Requiem für die Moderne

PETRA NACHBAUR
Eher kurze Textstelle plus Verkehrsszene plus kurze Textstelle

GABRIELE BÖSCH
camera obscura

LINDA ACHBERGER
Sich nächtens ausziehen

CLAUDIA TONDL
Nirgenswo

ANNE KERSGAARD
Falkenschlag
 

Leseprobe:

Requiem für die Moderne
von Christian Zillner

Darf man es wagen, die Moderne
das zu nennen, was sie wirksam war,
ein Konzentrationslager der Seele?
Le Corbusier, ihr Himmelvater, nahm
das Maß vom Menschen, doch nur um
ihn besser einkojen zu können.

Mein Gott, wie sie die tapf’re neue Welt
verteidigt haben mit beleidigten Gesichtern.
Kitsch, Kleinbürger und Ornamentverbrechen
waren ihre Waffen, Schwerter, die sie sich
aus ihren eigenen Wunden zogen, sie, Provinzler
allesamt. Ihr Traum von einer großen Stadt
nur kleiner als der eines Schicklgrubers.

Dem Auto, dieser Kürbiskutsche ihrer Vorstellung
von Freiheit, sollte alles in die Tunnel weichen,
was auf zwei Beinen oder mehr im Freien war.
Begeistert von Visionen leerer Plätze und dem Glas
vor Stahlbeton erschufen sie der Langeweile Monumente.
Die Postmodernen dann mit schiefen Wänden, spitzen
Winkeln und der Unbarmherzigkeit von denen, die
den Bruch mit ihrer Väter Bräuchen nie gewagt.

Die Dichter, Maler auf den Knien vor der Moderne,
deren Zweck sie nie verstanden haben: Kunst ist
Kunst und alles andere ist das andere. Doch das Andere,
wer war denn das, womöglich andere Menschen?
Ihh, nein! Unmündige der Zeit doch bloß, Pfahlbürger,
Höhlenmaler, Knechte eines Kapitals, das die Modernen
nur dann gern nahmen, wenn man ihre Werke
in der Zeitung oder auch im Fernsehen lobte. Ich
möcht’ auch ein Star sein, dieses Mantra flüstert jeder
Baukünstler in den Spiegel seiner unsterblichen Seele.

Sie haben’s gut gemeint, das kann man doch,
wiewohl es nach Verdammnis klingt, ihnen zugute halten.
Den meisten, mindestens. Ich geh‘ auch lieber heut’ zum
Zahnarzt als im neunzehnten Jahrhundert. Sonst? Ein Musil,
Proust, Pound, Wittgenstein und Heidegger, der Husserl
auch, natürlich und Schalamow, Kokoschka, der große
Spanier mit einem Namen wie Pyjama. Und seine Gesellen.
Wieso hat Philo Farnsworth, vierzehnjährig Miterfinder
des Fernsehens, es spät im Alter so gehasst?

Weil Hass die Liebe der Moderne war. Der Hass
auf alles Hergebrachte, Überständige, das krumm
und lahm, halt eben nicht modern gewesen ist. Und dieser
Hass nagt immer noch an uns, lässt uns die Welt
als einen Ort voll Anderer erleben, die fremd und alt,
die dumm und hilflos sind, vom Fortschritt ausgesogen
wurden und sich im Müll des Zeitgeists gütlich tun.
Sie haben den modernen Mensch’ verhindert. Das
kann ihnen die Postmoderne nie verzeihen.

Nun ist sie tot, die göttliche Moderne. Hat Götter selbst
erlegt und sich auf ihren Platz gesetzt. Die alten Jünger
bauen ihr Mausoleen in den großen Städten, hoch und glatt,
verhöhnen jedes Maß, das Corbusier einst für den Menschen
ausgab. Den Menschen ist es gleich, ob sie vor Katastrophen
oder Atomgeräten Ängste hegen. Denn Angst muss sein,
auch das hat die Moderne uns gelehrt, damit wir ihrem
Fortschritt folgen. Es ist dies aber nur die Angst
der ihrer Macht verlustig gehenden Tyrannen.