miromente 49
Freuen Sie sich auf Zeichnungen von Stefan Zsaitsits, voller Poesie, voller spannender Motive. Auf eine Gedichtserie von Linda Achberger, die mit der Sprache der Geomorphologie (zwischen)menschliche Zustände beleuchtet. Auf eine fast beginnende Revolution beim Kaffeetrinken, erzählt in vier kurzen Geschichten von Max Lang. Auf Wolfgang Mörths sprachspielerischen und absurdwitzigen Dialog zwischen den Figuren Quempu und Lempu. Auf eine Vogelschar, die in SAIDS Dialog ein Liebespaar besucht. Auf eine geheimnisvolle Begebenheit in einem Liechtensteiner Dorf, geschildert in Stefan Sprengers Romanauszug. Auf eine hoffentlich für alle Leserinnen und Leser anregende neue Ausgabe der miromente.
miromente 49 – Oktober 2017
STEFAN ZSAITSITS
Es Zeichnungen
LINDA ACHBERGER
Geomorphologie
MAX LANG
Revolution beim Kaffee
WOLFGANG MÖRTH
Sie müssen schon vorher
verrückt gewesen sein
SAID
ania und die vögel
STEFAN SPRENGER
Nachtvolk
Leseprobe:
Revolution beim Kaffee
Max Lang
Der Onkel
Vor ein paar Wochen habe ich meinen Onkel in Linz besucht. Er ist Wirtschaftsprüfer. Er hat eine schöne Villa. Dort philosophiert er gern über das gute Leben. Vor allem beschwert er sich aber über die Missstände unseres Wirtschaftssystems, das in seinen Augen nicht den Menschen dient.
„Siehst du, das heutige System, man kann es neoliberal nennen oder spätkapitalistisch oder wie auch immer, beruht darauf, dass wenige viel und viele immer weniger verdienen“, sagte er. „Den Leuten wird eingebläut, sie könnten mit dem nötigen Ehrgeiz und Fleiß alles erreichen. Das ist ein Wunschtraum, ein leeres Versprechen. Aber es spornt sie an und macht sie zu Systemsklaven, und sie merken es gar nicht.“
Wir philosophierten noch weiter. Seine Frau brachte uns etwas zu essen, dann gab es Kaffee. In seinem Garten blühten die Magnolien. „Es geht nicht um den Besitz eines Gartens, sondern um seine Nutzung“, sagte er, als er bemerkte, dass ich über seinen Reichtums staunte. „Glaub mir, Besitz macht nicht glücklich.“ Unglücklich aber auch nicht, dachte ich, und wir setzten uns rein, um Wein zu trinken.
„Der Markt ist an die Stelle des göttlichen Regulierers getreten“, fuhr er fort. „Unser Wohlbefinden messen wir nicht mehr an unserer menschlichen Umgebung, sondern am Kontostand. Das gesellschaftliche Wohl hingegen wird am Bruttoinlandsprodukt gemessen. Oder kennst du einen anderen Glücks-Indikator?“, fragte er, und da mir keiner einfiel, stimmte ich ihm zu. „Das System fährt gegen die Wand, glaub mir. Im Jahr 2000 betrug das weltweite BIP, wenn man das so nennen kann, 42 Billionen Dollar, die Schulden 87 Billionen. Im Jahr 2016 betrug das weltweite BIP 75 und die Gesamtschulden 220 Billionen. Verstehst du?“ Ich ahnte, worauf er hinauswollte. Er sagte: „Das BIP ist in diesem Zeitraum, also in 16 Jahren, um 80 Prozent gestiegen, während die Schulden um 250 Prozent gestiegen sind. Und Schulden sind immer Geldvermögen, vergiss das nicht.“ Er sah verzweifelt aus. „Bei diesen Zahlen kann es früher oder später nur einen Schnitt geben, eine Hyperinflation. Heute wären 220 Billionen auf einen Schlag weg. Glaubst du, das werden sich die Eliten gefallen lassen?“ Nein, dachte, ich, werden sie vermutlich nicht. „Um die Renditen zu befriedigen, werden Sozialleistungen gekürzt. Was heute Reform heißt, ist in Wirklichkeit nur Sozialabbau. Schwere Zeiten kommen auf uns zu.“ Es klang überzeugend. „Magst du was darüber schreiben?“, fragte er mich. Ich sagte, ich würde es mir überlegen. „Ich kenne sonst niemanden, der die Zeit dafür hat“, merkte er an, und ich stimmte zu.
Der Freund
Ein Freund von mir ist Unternehmensberater. Als ich ihn zum Mittagessen treffe, nach langer Zeit wieder einmal, schaut er ständig auf seine zwei Handys. „Ein russischer Kunde hat meinem Chef einen Text geschickt, den ich schnell übersetzen muss.“ Es ist Samstag. Rundum uns freuen sich die Leute über das gute Wetter. Mein Freund schaut während des ganzen Essens auf die Displays und ich ärgere mich. Er scheint das aber gar nicht zu bemerken. Mit der einen Hand isst er, mit der anderen übersetzt er. Irgendwann verstummt unser schleppendes Gespräch völlig und er versinkt ganz in seine Arbeit.
Am Telefon hat er mir erzählt, er sei im Moment für eine Bildungseinrichtung in der Westschweiz tätig, die einem russischen Unternehmen gehört. Dort berät er die Geschäftsführung. Er muss nun einen Plan erstellen, wie sich der Umsatz verfünffachen lässt. Er weiß noch nicht genau, wie er das anstellt, aber er findet die Aufgabe spannend. „Endlich mal in der Führungsriege mitspielen“, sagt er. Wie man denn den Umsatz einer Bildungseinrichtung verfünffache, frage ich ahnungslos. „Man muss die Leistungen verteuern. Man muss Wege finden, außerhalb der festgeschriebenen Tarife mehr Geld zu verlangen.“
Irgendwann frage ich ihn, ob er das denn ewig machen wolle. „Nicht ewig“, sagt er, aber ich bezweifle es. Er arbeitet sechzig Stunden die Woche und ist für seinen Chef auch im Urlaub erreichbar. Er ist schon in der Schule ein Getriebener gewesen. Er hatte immer die besten Noten und er besuchte auch nebenher Kurse und Fortbildungen. Der Leistungsgedanke ist ihm früh ins Blut übergegangen. Er würde immer erfolgreich sein wollen. Auch in seiner Freizeit versucht er, sich zu steigern. Die Berge, die er erklimmt, werden Jahr für Jahr höher. Die Autos, die er sich kauft, werden immer schneller.
Er bezahlt und wir stehen auf. Er hat den Text fertig übersetzt. Ob ich noch mit zu einem Vortrag wolle, fragt er. Ich sage, dass ich noch etwas schreiben werde. Er ist verwundert, denn er denkt wahrscheinlich, ich hätte immer Zeit. Hab ich auch. Aber ich will meine Eindrücke schnellstmöglich verarbeiten.
(...)