miromente 51
Wir freuen uns sehr, in dieser Ausgabe gleich fünf Autorinnen und Autoren begrüßen zu dürfen, die zum ersten Mal in der miromente veröffentlichen: Age de Carvalho, Mario Hladicz, Elisabeth Klar, Lisa Mundt und Magda Woitzuck. Eine den Leserinnen und Lesern bereits vertraute Stimme ist der sechste im Bunde, nämlich Christian Teissl. Mario Hladicz und Christian Teissl leben in Graz, alle weiteren Autorinnen und Autoren sind in Wien geboren oder leben mittlerweile dort. So auch die Künstlerin Sofia Goscinski, die für diese Ausgabe aus in Spiegelglas gelaserten Buchstaben ein Wort gebildet hat, das wiederum in einem der Texte zu finden ist. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern viel Vergnügen beim Entdecken, Schmökern und Genießen.
Max Lang
(Redaktion)
miromente 51 – März 2018
CHRISTIAN TEISSL
Vier Gedichte
SOFIA GOSCINSKI
Wort im Spiegel
ELISABETH KLAR
Was wir abstreifen
LISA MUNDT
Sag du zu mir
MARIO HLADICZ
Fünf Gedichte
MAGDA WOITZUCK
Corinnes Stiefel
AGE DE CARVALHO
Zehn Gedichte
Leseprobe:
VIER GEDICHTE
Christian Teissl
Unbekannter Aufenthalt
Pünktlich erreichte er das Labyrinth.
Kaum hatte er es betreten, da hörte er
Stimmen, Schritte, Motoren
sich nähern, sich wieder entfernen.
Niemand aber kam ihm entgegen,
nichts und niemand holte ihn ein.
Eine Wolke allein türmte sich
über ihm, wie erstarrt, hoch im Blau.
In ihrem Schatten gelangte er tiefer
ins Innere des Labyrinths,
und als es Abend wurde,
fehlte von ihm jede Spur.
Hochsommertag
Der Fluss, der die Stadt durchquert,
ist in sternweite Ferne gerückt.
In der Mittagsglut suchst du sein Ufer,
gehst durch viele geschmolzene Spiegel.
Der Himmel über dir:
eine Steppe aus Licht;
keine Wolke, kein Hauch
weit und breit.
Auf der Brücke erst
kommst du wieder zu Atem –
er lenkt deine Schritte
durch schmale Schattenschneisen
nach Hause.
Dort empfängt dich,
laut wie das Surren
eines Insektenschwarms,
das Ticken der Uhr,
die tagelang stillstand
in der verdunkelten Wohnung.
Portrait eines Schlaflosen
Zwischen Abend und Morgen
betrachtet er hellwach den Gang der Sekunden,
blickt hinaus in das Dunkel,
erblickt in allen Fenstern sein Spiegelbild.
Zwischen Abend und Morgen
belauscht er die Monologe der Uhren,
horcht hinaus in das Dunkel,
vernimmt in jedem Geräusch seinen Pulsschlag.
Ungeduldig, mit bleischweren Lidern,
erwartet er Nacht für Nacht den kommenden Tag,
der die dicht besiedelten Spiegel
wieder in Fenster verwandelt.
Die Abenteuer meiner Handschrift
Während ich schlief,
an einem lautlos unter der Sonne
versickernden Nachmittag,
stand meine Schrift
nicht mehr länger geschrieben,
lief auseinander
nach allen vier Winden
und löste sich auf,
lag als Tau auf den Wiesen,
rann als Welle flussabwärts,
zog als Wolke über den Himmel
und fiel, als ich wieder erwachte,
als Regen auf mich herab.