miromente 55

Diese Nummer ist unter anderem Ausdruck einer schönen und sinnvollen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Partner waren die Literaturinitiative literaare, angesiedelt in Thun, Kanton Bern, das Stuttgarter Schriftstellerhaus und Literatur Vorarlberg. Gemeinsam wurde ein literarischer Wettbewerb für Schriftsteller_innen aus dem deutschsprachigen Raum ausgeschrieben, die noch kein Buch veröffentlicht haben. Teil der Auszeichnung waren einerseits Einladungen zu Lesungen im Rahmen des 14. Thuner Literaturfestivals, des Stuttgarter Schriftstellerhauses und der Veranstaltung Literatur im Schwärzler in Bregenz, andererseits die Veröffentlichung der Siegertexte in der Basler Literaturzeitschrift Narr und in der miromente. Unter mehr als 300 Einsendungen wurden in einem anonymisierten Auswahlverfahren die Texte von Christian Reimann, Simon Sailer und Hannah Schraven als Preisträger ermittelt. Die miromente gratuliert herzlich zu diesem Erfolg.
Ebenfalls in dieser Nummer enthalten ist jene Geschichte, für den Carolyn Amann mit einem Arbeitsstipendium beim Vorarlberger Literaturpreises 2018 ausgezeichnet wurde. Und mehrfach preisgekrönt ist auch die Arbeit von Tabea Steiner, die uns einen ihrer neuesten Texte zum Abdruck überlassen hat. Tabea Steiner gehört ­– und das rundet den Inhalt dieser Nummer auf sinnfällige Art ab – zum Team von literaare und war in dieser Funktion mitverantwortlich für die Auswahl der oben genannten Siegertexte.
Von der Feldkircher Künstlerin Nadine Hirschauer stammen die bildnerischen Arbeiten in dieser Nummer. Sie presst ephemere Pflanzen mit einer Buchpresse auf Papier und hält so jeweils einen flüchtigen Moment in deren kurzer Vegetationsperiode fest.

Wir danken allen, die etwas zu dieser Ausgabe beigetragen haben und wünschen unseren Leser_innen eine anregende Lektüre.

Wolfgang Mörth

miromente 55 – März 2019


CHRISTIAN REIMANN
Einzelzimmer

NADINE HIRSCHAUER
ephemere

HANNAH SCHRAVEN
auf der anderen seite

SIMON SAILER
Origamien

TABEA STEINER
Lichtbilder

CAROLYN AMANN
Neu-Amerika 


 

Leseprobe:

Lichtbilder
Tabea Steiner

Der Diaprojektor war ausgeschaltet, das Saallicht würde gleich angezündet werden. Der Lichtkegel, in dem die Staubpartikel getanzt hatten, war schon erloschen, aber auf der Netzhaut noch eingeblendet, sein Negativ legte sich dunkel ins Dunkel. Für einen kurzen Moment war zu hören, wie der Projektor rauschend auskühlte, dann ging das Licht an und Bewegung kam in die Zuschauer.

Im Innern eines solchen Projektors schiebt ein kleiner Balken das Dia zur Seite, dann fällt das nächste vor den Lichtstrahl. Zwischen zwei Bildern wird die Leinwand für einen kurzen Moment ganz hell, genauso, wie wenn der Film zu Ende ist, und manchmal fallen zwei Dias gleichzeitig vor den Lichtstrahl.
Mit Film ist hier eine längliche gelbe Box gemeint, worin die Dias eingereiht sind. Die Anzahl Dias entspricht der Anzahl Fotos einer Filmrolle, die, wenn sie voll ist, von allein und mit unüberhörbar lautem Surren im Innern des Kameragehäuses zurückspult. Man legt die Filmrolle in eine Hülse, sendet sie dem Fotofachgeschäft zu und erhält nach wenigen Tagen ein längliches Packet.
Der Film, der damals gezeigt wurde, war ein langsamer Film, jedes Bild wurde kommentiert, mal kurz, mal länger. Die Bilder sprachen für sich und wurden dennoch ausgedeutet; wer die Bilder kommentierte, hatte auch eine Auswahl getroffen und die Reihenfolge bestimmt. Die gleiche Person bestimmte auch die Geschwindigkeit, betätigte den Schalter, damit ein nächstes Dia vor den Lichtstrahl fiel, selbst noch in Zeiten, als Projektoren die Bilder längst von allein in regelmässigen Abständen wechseln konnten.

Ich war klein und sass bei diesen Diavorträgen oft auf der vordersten Bank. Manchmal legte ich mich auf dem Spannteppich auf den Bauch und schaute zu dieser Leinwand auf, die Wangen auf den Händen abgestützt. Menschen erschienen, überlebensgross und mit dunkler Haut. Sie standen als Lichtbilder mitten im Saal, manchmal mit hohlem Kreuz und vorgerecktem Bauch, ohne zu wissen, dass sie in diesem Moment in einem kleinen Saal mitten in Europa von einer kleinen Gruppe Menschen betrachtet wurden. Ohne zu wissen, dass neben der Leinwand der Missionar stand, der sie fotografiert hatte. Ihn hatte die Gemeinschaft ausgesandt, und er war auf Urlaub, zurückgekommen, um von seiner Arbeit zu erzählen, davon, wie diese überlebensgrossen Menschen neben ihm auf der Leinwand ihren Weg ans Licht gefunden hatten. Diese lebten in einer anderen Zeitzone, bei ihnen war es dunkel, wenn es bei uns hell war.

Im Haus meiner Eltern gab es weder Fernseher noch Radio. Entrückt lag ich auf dem Spannteppich und lauschte, sog die Erzählungen der Missionare und die grobkörnigen Bilder aus einer fremden, weit entfernten Welt in mich auf. Mir war, als würden die Fäden, die die Welt in ihrem Innersten zusammenhalten, in diesem kleinen, dunklen Raum zusammengezurrt, zu einem reissfesten Knäuel verknüpft, als Vergeltung dafür, dass die Missionare hingegangen waren, das Evangelium allen Menschen zu verkünden.
Andere Kinder in meinem Alter, erfuhr ich Jahre später, verfolgten zu dieser Zeit den ersten Krieg, der im Fernsehen live übertragen worden war.

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