miromente 7

miromente 7 - März 2007

 

REINHARD KAISER-MÜHLECKER
Zwischenstellen der Chronologie

WWW.BZV.AT
Literatur im Gespräch
Künstlertypologie: Teil 1

KURT BRACHARZ
...in seinem Kern nicht so gewaltig.

DANIELA EGGER
Yi Dong, eine Annäherung

RAPHAEL ALOYSIUS LAFFERTY
Das Loch an der Ecke


Mauszeichnungen von Ulrich Gabriel


LESEPROBE
(aus: Reinhard Kaiser-Mühlecker - Zwischenstellen der Chronologie)


Die Statue des Publius Ovidius Naso steht an ihrem Platz, an seinem Platz, am Platz des Dichters auf einer kleinen Halbinsel in der rumänischen Hafenstadt Constanta, zu Deutsch Konstanza, benannt zu Ehren der Schwester des römischen Kaisers Konstantin. Dort steht sie, dort steht er, direkt vor dem Archäologischen Museum, das wie ein Märchenschloss (die Ritterburg) in der Kind-Vorstellung ist. Der gegossene, ewige Leib aus Bronze des Ovid, der völlig beruhigt, aber nachdenklich dem wilden Meer zugewandt ist. Er blickt zu Boden, aber das kann nur ein Irrtum sein, das ist nur ein kurzes Niederblicken, ein kurzes Zu-Sich-Kommen, ein Nach-Hause-Kommen oder ein Zu-Hause-Ankommen, er, der Römer, wird das Haupt wieder anheben, gleich, und er wird sehen: wie die Wellen sich brechen, wie sie ihre Farbe ändern, wie sie zugleich ihre Farbe behalten. Gleich wird es so weit sein, eine Minute noch, eine Sekunde, ein Zeitalter, ein goldenes würde es sein, bald, jedenfalls gleich – und keiner würde es bemerken. Eine Ruhe überkommt mich dort daneben stehend, es ist alles so schön, so schön melancholisch, so schön untertrieben; ich habe das Gefühl, das ich an einigen Orten schon gesucht habe, hier zeitweise gefunden: das Gefühl, in der eigenen Mitte für Sekunden zu ruhen; bis dann wieder die Erinnerung einsetzt, die Erinnerung an das Weggehen und die Erinnerung an diejenigen, die ich verlassen habe, weil ich sie verlassen musste; die, indem ich sie verließ, zurückblieben.

Im Weggehen von der Statue übersetze ich teilsteils und kleinweise die Verse, die Lippen bewegen sich zwar im Takt, ich kenne noch den Rhythmus des Versmaßes, aber ich bin aus der Übung. Später wieder der Gang hinunter zum Kazino, dem imposanten Casino aus Marmor, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, im Mundwinkel eine Zigarette, die nach unten hängt, die glüht; später wird sie auf irgendeinem Stück Asphalt liegen: für eine Weile, Bruchteil der Zeit; es ist schon spät, nur wenige Menschen auf der Straße, ab und zu rußen Autos vorbei, ungeheuer laut, und ich frage mich, ob das an den Straßen oder an den Autos liegen mag, woher dringt dieser Hall, dieser Nachhall zu mir, komme zu keiner Antwort. Zu einem anderen Zeitpunkt, an einem der ersten Tage in dieser Hafenstadt, als ich mir, eben dem Zug aus Bukarest entstiegen, einbildete, das Salz in der Luft und also das Meer wahrnehmen zu können, aber nicht herausfinden konnte, ob meine Wahrnehmung richtig war oder bloßes Wunschdenken; die ersten Schritte auf das seit Jahren ersehnte Meer zu, vorbei an den Ausgrabungen, die ich zu jenem Zeitpunkt nicht einmal beachtete, das müsste und würde warten; mein Gang auf das Meer zu: die Möwen, die ich schon von weitem segeln sah, ihre Bögen, in meinem Kopf war nur ein einziges Wort, und das war „hoheitlich“.
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