miromente 75

Das Editorial dieser Ausgabe möchte ich nutzen, mich bei Ihnen, den Abonnentinnen und Abonnenten, für Ihre Treue und Ihr Interesse zu bedanken. Natürlich kommt es immer wieder zu Stornierungen, die Gründe sind vielfältig. Einer, der am häufigsten genannten ist die fehlende Zeit, den Inhalt der Ausgaben mit gebührender Aufmerksamkeit zur Kenntnis zu nehmen. Selbstverständlich ist auch uns bewusst, dass wir in anstrengenden, fordernden Zeiten leben, und wir alle versuchen müssen, das bisschen Muße, das uns bleibt, gut zu verwalten. Wir sind also nicht naiv und wissen deshalb, dass nicht alle von Ihnen sich sofort, nachdem sie die miromente aus dem Briefkasten geholt haben, hinsetzen werden, um sich der aufmerksamen Lek- türe zu widmen. Das ist auch nicht notwendig. Oft genügt es, das Deckblatt zu lesen, um vielleicht den einen oder an- deren Namen wiederzuerkennen. Manche werden sie gleich einmal kurz durchblättern, weil sie an den bildnerischen Arbeiten interessiert sind, die wir in den meisten Ausgaben abdrucken. Es gibt Abonnent:innen, die Bilder heraus- schneiden, sie rahmen und an die Wand hängen. Bei wieder anderen wandern die Ausgaben sofort ins Regal, um dort Teil der Sammlung zu werden.

Eine Zeitschrift wie diese kommt nicht mit einer Gebrauchsanweisung ins Haus, wie sie benutzt werden muss, sie ist keine Hausaufgabe, sie ist ein Angebot, auch eine Erinnerung, dass es literarische Formate und gute Geschich- ten zu entdecken gibt, die nicht durch den Verwertungs- apparat eines Literaturbetriebes geschleust wurden, der, wie jeder andere Bereich des sogenannten freien Marktes auch, nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage organisiert ist. Wären wir Teil dieses Marktes und würden uns seinen Regeln unterwerfen, gäbe es die miromente schon lange nicht mehr, denn es gibt kaum einen vernünftigen Grund, eine Zeitschrift wie diese zu produzieren, und, nebenbei bemerkt, auch keinen, sie zu abonnieren. Daher bleibt uns nur, sie Ihnen sozusagen ans Herz zu legen. Und unermüdlich weiter nach interessanten Autor:innen zu suchen, deren Texte zu sorgfältig gestalteten Ausgaben zusammenzufassen, um sie Ihnen vier Mal pro Jahr in der Hoffnung zuzusenden, Ihnen damit eine exklusive Freude zu bereiten.

Wolfgang Mörth
(Herausgeber)

miromente 75 – März 2024

 

 

WOLFGANG MÖRTH
Fünf Geschichten und eine Stellungnahme
Der Vorarlberger Kulturpreis 2023

LINDA ACHBERGER
Stillstand
Vorarlberger Kulturpreis

NILS NUSSBAUMER
Wovon wir reden
Anerkennungspreis

CARLOS PETER REINELT

Warum Die Wassermelone nicht erscheint
Anerkennungspreis

KATHARINA KLEIN
pulver

VALERIA ANNA LAMPERT
Unvoll

MAX LANG
Vogelweidplatz

 

 

Leseprobe:

pulver

von Katharina Klein

(ich probierte fottere fregare aufgeben und ruine mit doppel r zu sagen nichts passte.

ich ließ sie ausschlafen und sich hassen, ich ließ sie hungern und machte ihnen komplimente, ich versuchte mir die zähne mit seife zu putzen und dann mit schlamm ich lallte. sie waren wie tot.

ich packte sie schüttelte sie sie bewegten sich nur noch wenn ich sie schüttelte. ich warf dinge aus dem fenster dinge, ich kann sie nicht anders nennen, dinge darunter schuld vorsicht fieberträume dinge wie liebe angina und behaarung an falschen stellen und an richtigen sonnenbrand. sie machten kein geräusch als sie aufprallten. ich lief monatelang mit einer hitze im mund durch die gegend und fing an wie männer auf den boden zu spucken. ich hörte zu kauen auf und begann alles vorsichtige zu hassen.

mein vater mahnte hassen ist ein starkes wort ich sollte ein anderes verwenden aber selbst hassen ist ein bergmassiv das man wegniest, eine dunkelkammer in der niemand das licht löscht bilder die blank werden usw usf.

ich habe den mund also nur noch aufgemacht um damit den regen zu fangen.

ich erinnere mich an sätze, in den tönen von möwen das meer ahnen, es aber nicht sehen.

ich weiß da waren balkone wie vorgeschobene kiefer. ich weiß noch, unterbrechungen.

diese schäbige bar in seravezza direkt am gleis und immer wenn ein zug durchfuhr sagtest du –––– flüssiges butan war alles was ich hörte. ich weiß noch, fortsetzungen. dass man den himmel brennen sehen konnte bis nach pisa, was marco mir erzählte. er lief mitten auf der straße und verscheuchte die lkws wie fliegen. oder er lief am rand, er hatte die arme nicht verschränkt aber so als würde er seinen körper schließen und die sonne fiel an ihm herunter. wenn er von der explosion in viareggio erzählte oder von seiner traurigkeit machte seine sprache das was große vögel tun, durchquert einen canyon aber bricht mit einem ast.

mir fiel ständig was vor die füße das ich nicht aufheben konnte und da lagen all diese gefühle wie betrunkene kinder. und meine worte fielen nur auf sie. diese leintücher aus marmor.

auf giamminos graue augen das dach aus plexiglas auf die großmutter im fluss

usw usf.

der weiße staub machte sie alle zu komplizen von geistern. die fräsen schrieen und die skulpturen schwiegen, als wäre lärm die mutter der stille. die väter waren in den steinbrüchen gestorben oder starben. alle drei minuten fuhr ein pick up ans meer als laufmasche der landschaft oder als leichenwagen. sie brachten hier die berge um um grabsteine zu schlagen für die arbeiter die in den steinbrüchen starben. oder für die aids toten in miami oder die fussballspieler in forte dei marmi. in den steinbrüchen gab es nur eine ausgesprochene regel, egal zu welcher uhrzeit man starb man bekam den ganzen tageslohn ausbezahlt. die unausgesprochene war, alles was man von hand tragen konnte war gratis. ich erinnere mich an missverständnisse.

das denkmal der gefallenen arbeiter am piazza binelli in das in der nacht die led lichter kantige schatten schnitten die led lichter die so voll waren mit fruchtfliegen, dass kaum mehr licht durchfiel das erste mal als ich es sah sah ich überhaupt nichts. wir waren zu dritt michele übersetze uns wunden und niemand wusste welche hand welche im dunkeln berührte und ob man seine nicht besser zurückziehen sollte.

O falangi di morti sul lavoro sagte die inschrift mit einem großem O dieser geöffnete mund stumm wie ein tunnel dunkel. in dieser stadt drehte sich alles im kreis die menschen wie die wände schwörten mit dem anfang vom alphabet nur auf das ende vom staat. sie teilten sich die wohnungen die betten die delikte die affären, als wäre alles sowieso nur geliehen bis irgendwer auf einen buffer schlug und man einen stuhl weiter zog. monate später erst sah ich, dass die skulpturen des denkmals, dass sie einen toten mit den händen trugen.

ich weiß noch, gestammel, diese winzigen dinge, der strand verstreut am fliesenboden, wie katzen unter autos schliefen, wie eine mücke im ventilator zerschnallte ohne dass sie jemand hörte, wie eine verlegenheit die man versteckte und unter flutlichtern flöhe.

ein leeres haus in dem ich eine glühbirne fand oder 30 cent pro liter, die wasserpreise, die mit namen wie rocchetta santa anna und bernardo in supermärkten an bildschirmen standen wie rennpferde, auf die man setzen konnte

das ganze gerede und ich hätte immer sagen können

der salamander verschwand in einer ritze, wie michele seine zelle im gefängnis anzündete.

analogien, ich weiß sie noch aber sie sind wie algen auf einem wrack. und wie die wellen so dahin, und hier und da bricht sich im licht und bla bla aber giamminos graue augen das dach aus plexiglas die großmutter im fluss. wie du den kopf immer nur schüttelst in solchen momenten als wäre die ehrlichste geste die dir einfällt, sprache zu verneinen.

es war nämlich so, man fuhr hier von allen seiten auf diese berge zu aber sie waren hohl. leere, die sich jeden tag mehr akzentuierte. ich nannte sie die wohnung in die wir nie gemeinsam eingezogen sind.

und ich erinnere mich ans stottern. an dopplungen die aus verlust entstanden, an fehlen das zum flugblatt wurde das niemand lesen konnte. wenn sie hier vom tod erzählten dann sprachen sie in pausen, sie rissen löcher und füllten sie nicht. und autotüren die aufgeschlagen wurden und nie wieder zu und überschwemmungen und immer die sensation dass ein handy vibrierte und aufgelassenes und hände hände hände. und ich dachte so müsste sie sein, die sprache, müsste da wo du die hand wegnimmst gerade noch hingreifen können, und da wo du sie wegziehst bleiben. mein bett schimmelte. aber sie spricht in verlustanzeigen, die nicht mehr wissen wonach sie suchen sollen.)