miromente 9

 

miromente 9 - September 2007

 

EVA SCHMIDT
Die Nacht

REINHARD KAISER-MÜHLECKER
Die vorgestellte Reise

CHRISTIAN ZILLNER
Vorarlberg

DANIELA EGGER
Die Gruppe und ihre Fremdkörper

WWW.BZV.AT
Künstler-Typologie: Teil II

KURT BRACHARZ
Selten erzählte Vorarlberger Sagen

ULRICH GABRIEL
Alter Hut


Mauszeichnungen von Ulrich Gabriel

 

 

LESEPROBE
(aus: Reinhard Kaiser-Mühlecker - Die vorgestellte Reise)


Die vorgestellte (aber doch auch: in Wirklichkeit vorgeschlagene, dann in für mich überraschendem Moment die Annahme des Vorschlags; aber niemals ausgeführte) Reise mit meinem Bruder Wilhelm, und es wäre ganz gleichgültig, wohin wir fahren würden, ob es das italienische Reggio wäre oder ein anderer Ort in einem anderen Land, nur weg, nur in den Süden, oder, wie einmal einer zu mir sagte, ich lese deine Gedanken, du willst in die Sorgenlosigkeit; ich süchtiger nach der Sonne als Wilhelm, der sagte: „Die Wohnung hier, sie ist fast zu hell. Ich bin genügsam, ich bin eine Pflanze, bin ein Strauch, brauche nicht viel Sonne, sie macht mich müde.“

Die Vorstellung: Wir stiegen in mein Auto, fuhren ab, aber der Beginn der letzten Reise: Wir sprachen wenig, als ich am Morgen zu ihm kam, und als ich in die Wohnung trat, lag er noch im Bett; er hatte mir die Haustür geöffnet, nichts gesagt, als ich in die rauschende Gegensprechanlage gerufen hatte: „Kommst du gleich runter? – Oder nein, warte, ich komme rauf, ich helfe dir tragen.“ – Nur das Rauschen durch das Gitter der Blechverkleidung, die von innen beleuchteten Plastikschilder, auf einem unser Name in Handschrift, und in mir die Nicht-Farbe Weiß, oder das in mir verwirklichte Weiß, das so zur Farbe wurde, ich ging die fünf Stockwerke zu Fuß, die leeren Flure, meine hallenden Schritte im Stiegenhaus, seine weit offen stehende Wohnungstür, ich trat leise ein, ich war hier fremd, keine Reaktion auf mein Klopfen. In der Küche Geruch nach frischem Kaffee. Er lag im Kabinett, seinem kleinen Schlafzimmer hinter der Küche, lag bewegungslos auf dem olivgrün bespannten Feldbett, die Augen weit offen und starr gegen die Decke. „Bist du bereit?“ – Da sprang er auf, aber nicht fröhlich, sondern pflichtbewusst, wie jemand, der am Morgen verschläft, der Blick auf die Uhr, das kurze Nachdenken, das Suchen eines bestimmten Gedankens, dann endlich der einfache Gedanke: „Schon so und so viel Uhr!“, und dann ein Fluch oder ein Schlag mit der flachen Hand gegen die Stirn.

In mein Nachdenken hinein seine sehr ruhige Frage: „Willst du Kaffee?“
Ich verneinte, sagte irgendetwas, sagte: „Hab’ auf der Tankstelle eben einen getrunken“.
„Dann können wir ja fahren!“ – nach diesem Satz zwang er sich ein Lächeln ins Gesicht, das wie verstört war an diesem Tag, wie ich dachte, aber nichts davon sagte, nur: „Ja, fahren wir“
...