miromente 61

Mit der Nummer 61 startet die miromente in den 16ten Jahrgang. Und sie tut es mit einer in jeder Hinsicht speziellen Ausgabe. Noch nie haben wir mit so vielen Literaturinstitutionen über so viele Grenzen hinweg zusammen gearbeitet, noch nie war eine so große Zahl an Schreibenden und Gestaltenden beteiligt, und vor allem waren die Beiträge noch nie von einem Ereignis angeregt, oder besser, verursacht, das unser aller Fühlen, Denken und Handeln über Monate hinweg so sehr geprägt hat wie die Corona-Krise.

Die aufwändige Heftbindung, die wir dieses Mal gewählt haben, hat zwar in erster Linie mit dem Umfang der Nummer zu tun, darf aber auch als ein Hinweis auf das literarische Genre verstanden werden, dem die hier versammelten Texte angehören. Denn durch den offen sichtbaren Rücken des Buchblocks könnte durchaus der Eindruck entstehen, es handle sich um ein Bündel von Briefen, in diesem Fall Briefe, die den Gedankenaustausch über eine außerordentliche gemeinsame Erfahrung abschließend zusammenfassen. Mehr darüber, wie es zu diesem Austausch kam, lesen Sie im Vorwort von Frauke Kühn, der Initiatorin des Projekts.

Aus editorischer Sicht ist hinzuzufügen, dass es leider nicht möglich war, alle sieben Korrespondenzen in voller Länge abzudrucken. Auch die Übersetzung der im Original italienisch verfassten Briefe ist hier nur in kurzen Passagen angedeutet. Wer allerdings den ganzen Prozess ungekürzt und zweisprachig nachvollziehen möchte, kann dies auf der Website des Literaturhauses Vorarlberg (literatur.ist) tun, solange die Texte dort archiviert bleiben. Für die notwendigen Bearbeitungen haben in behutsamer Art die Redakteurinnen und Redakteure aus Liechtenstein, Südtirol, der Schweiz und Vorarlberg gesorgt.

Bleibt nur noch, Ihnen eine anregende, Ihre eigenen Erfahrungen bestätigende, vielleicht auch widerlegende, in jedem Fall aber bereichernde Lektüre zu wünschen.

Wolfgang Mörth

miromente 61 – September 2020

Cara Roberta.

Sieben Briefwechsel

 

 

"Ein literarisches Blinddate also.

Ohne jeden Hintergedanken.

Obwohl..."

Christoph Linher

 


VORWORT
Persönliche Briefwechsel
in außergewöhnlichen Zeiten

FELDKIRCH – ALTA BADIA
Christoph Linher
Roberta Dapunt

KÖLN – BERLIN
Yannic Han Biao Federer
Verena Roßbacher

WIEN – MAINZ
Christian Futscher
Marjana Gaponenko

ITHACA, N.Y. – HOHENEMS
Peter Gilgen
Gabriele Bösch

 

SCHAAN – WEILER IM ALLGÄU

Hansjörg Quaderer
Antonie Schneider

 

ALGUND BEI MERAN – BOZEN
Barbara Ladurner
Paolo Crazy Carnevale

 

ROGOZNICA – ZÜRICH

Dragica Rajčic
Julia Weber

 

 

 

 

Persönliche Briefwechsel in außergewöhnlichen Zeiten

Vorwort von Frauke Kühn

Hinter uns allen liegt ein Frühjahr der leeren Literaturbühnen: abgesagte Lesungen und Buchmessen, gestoppte Lesereisen, ausgebremste Literaturprojekte in den Kulturinstitutionen ebenso wie in den Schulen. Wie so viele andere Bereiche, wurde auch die Literaturszene im Zuge der Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid19 lahmgelegt. Auch das künftige Literaturhaus Vorarlberg, das von literatur:vorarlberg netzwerk derzeit in der historischen Villa Iwan und Franziska Rosenthal in Hohenems mit Unterstützung des Landes Vorarlberg und der Stadt Hohenems entwickelt wird, musste zunächst sämtliche Vorhaben einstellen.

Bereits nach kurzer Zeit setzten verschiedene Literaturveranstalterinnen und -veranstalter im deutschsprachigen Raum mit Live-Stream-Lesungen und Tagebuchstimmen deutliche Zeichen gegen die plötzliche Stille der Literaturszene. Ausgehend davon beschäftigte mich zunehmend die Frage, wie es wäre, dem Ich ein Du und der eigenen Perspektive eine weitere an die Seite oder gegenüber zu stellen. Aus diesen Überlegungen entstand die Idee, einen internationalen Briefwechsel zwischen Autor*innen zu initiieren, die einander noch fremd sind. Ein Briefwechsel überwindet Grenzen und Sprachen, er bietet Zeit zur Reflexion, erlaubt eine Reaktion, bringt einander Unbekannte in die Begegnung und ist nicht zuletzt auch bei geschlossenen Grenzen in der Lage, geographisch entlegene Perspektiven einzufangen.

Eine erste Anfrage schickte ich an die italienische Lyrikerin Roberta Dapunt, die mir von einer Lesung beim Alpen-Adria-Festival in Arnoldstein aus dem vergangenen Jahr so eindrücklich in Erinnerung geblieben war, sowie an den Träger des Vorarlberger Literaturpreises, Christoph Linher. Beide waren sich noch nie zuvor begegnet und sagten spontan zu, sich fünf Wochen lang in jeder Woche jeweils zwei Briefe zu schreiben. Zu diesem Zeitpunkt war das Projekt immer noch auf der Suche nach einem passenden Titel. Schließlich schickte mir der literarische Übersetzer Werner Menapace Christoph Linhers ersten Brief, den er für Roberta Dapunt aus dem Deutschen ins Italienische übersetzt hatte. Der Brief begann mit den zwei schlichten und doch so einzigartig schönen Worten ‚Cara Roberta‘. In der Sekunde des Lesens hatte das Projekt ein Gefühl bekommen, ab da war der Titel gesetzt. Er vereint so viel von dem, was ausschlaggebend für die Idee war: der Austausch über das Kulturmedium Brief, das Du des Dialogs, die Mehrsprachigkeit.

Mit dem Literaturhaus Liechtenstein, der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung aus Bozen sowie dem Literaturhaus & Bibliothek Wyborada aus St. Gallen erweiterte sich das Projekt gleich während der ersten Wochen um wertvolle Kooperationspartner*innen. Jede Institution lud weitere Schreibende in das Projekt ein. Am Ende schrieben sich 14 Autorinnen und Autoren aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein, der Schweiz, Italien, Kroatien und den USA im Zeitraum von April bis Juni 2020 insgesamt knapp 70 Briefe. Ihre Zeilen verknüpfen und spiegeln die aktuelle gesellschaftspolitische Situation mit historischen und zum Teil sehr persönlichen Blickwinkeln. Entstanden sind bewegende, streitbare, nachdenkliche wie auch unterhaltsame Dialoge zwischen Roberta Dapunt & Christoph Linher, Christian Futscher & Marjana Gaponenko, Verena Roßbacher & Yannic Han Biao Federer auf Einladung des literatur:vorarlberg netzwerks; zwischen Gabriele Bösch & Peter Gilgen sowie Antonie Schneider & Hansjörg Quaderer unter dem Dach des Literaturhauses Liechtenstein; zwischen Barbara Ladurner & Paolo Crazy Carnevale für die Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung sowie zwischen Julia Weber & Dragica Rajčić, eingeladen vom Literaturhaus & Bibliohek Wyborada.

Die aktuelle Ausgabe der miromente präsentiert nicht nur sämtliche dieser Briefwechsel, sondern zeigt einmal mehr, auf welch besonders schöne Weise, das Projekt ‚Cara Roberta‘ vier Literaturlandschaften in Zeiten des Stillstands in die Begegnung und die nachhaltige Zusammenarbeit brachte. Ich bedanke mich von Herzen bei allen Autor*innen und Übersetzer*innen, bei Roman Banzer und Hansjörg Quaderer (Literaturhaus Liechtenstein), Maria Hilber und Alma Vallazza (Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung), Patricia Holder (Literaturhaus & Bibliothek Wyborada) sowie bei Wolfgang Mörth und Sarah Rinderer (miromente). Allein in unser aller Zusammenarbeit liegt die Schönheit dieses Projektes und dieser Ausgabe der miromente begründet.

Frauke Kühn
literatur:vorarlberg netzwerk