miromente 72

Gebe ich auf der Wikipedia-Seite die Bezeichnung „Vorarlberger Literaturpreis“ ein, dann stoße ich auf eine Auszeichnung, die seit über zehn Jahren nicht mehr existiert. Ursprünglich handelte es sich dabei um den Ehrenpreis des Vorarlberger Buchhandels, der 1991 zum ersten Mal vergeben wurde, und zwar an Max Riccabona. Als ihn 2003 Kurt Bracharz erhielt, schlug er im Kosmos-Naturführer „Was blüht denn da“ nach und teilte dem Publikum in seiner denkwürdigen Rede zur Preisverleihung (nachzulesen in der miromente 62) folgendes mit: „Der Ehrenpreis gehört zu den Braunwurzgewächsen, manche Unterarten sind giftig für Weidetiere, manche für Menschen. Es gibt den Quendel-, Gamander-, Bachbungen-, Wald-, Gauchheil-, Feld-, Faden-, Efeu-, Persischen und Großen Ehrenpreis. Alle heißen lateinisch Veronica, der Ehrenpreis des Vorarlberger Buchhandels müsste also nach meinen Küchenlatein- kenntnissen Veronica commercii librorum Vörarlbergensis heißen.“ Es könnte durchaus sein, dass es deswegen im Jahr 2008 zur Umbenennung der Auszeichnung in Literaturpreis der Vorarlberger Buch- und Medienwirtschaft kam, was sich allerdings niemand merken konnte oder wollte, weshalb er immer nur der Vorarlberger Literaturpreis genannt wurde. 2012 war Christian Mähr der letzte, der ihn verliehen bekam.

Nun stehen allerdings im besagten Wikipedia-Eintrag als Preisträger* innen für die Jahre 2014 und 2017 zwei weitere Namen, nämlich Stephan Alfare und Sarah Rinderer. Danach reißt die Liste erst ab. Grund dafür war wohl, dass 2014 beschlossen wurde, das seit 1989 vergebene Vorarlberger Literaturstipendium, erste Stipendiatin war Monika Helfer, in Vorarl- berger Literaturpreis umzubenennen, eine Bezeichnung, die frei war, weil sie der Buchhandelspreis nie offiziell getragen hatte. Der für den Artikel zuständige Wikipedia-Administrator scheint sich zunächst nicht richtig informiert zu haben und gab die Arbeit an der Seite schließlich auf.

Da wir in dieser Ausgabe der miromente die Texte der aktuellen Preisträger*innen des wahren und einzigen Vorarlberger Literaturpreises abdrucken, jener Auszeichnung also, die auch Alfare und Rinderer bekommen haben, scheint es mir sinnvoll zu sein, hier auf diesen Irrtum aufmerksam zu machen, um eine mögliche (aber unwahrscheinliche) Verwechslung in Zukunft auszuschließen.

Wolfgang Mörth

miromente 72 – Juni 2023

 

 

WOLFGANG MÖRTH
Vorarlberger Literaturpreis 2023
Vorwort

MATHIAS MÜLLER
Die Bühne wächst

NADINE KEGELE
Unter Verwendung guter Gedanken

MANON HOPF

gebe dir mein gesicht
verwandlungen

INGRID MARIA KLOSER
Zeichen

 

 

Vorwort
von Wolfgang Mörth

 

Am 24. April fand im Landhaus in Bregenz die Verleihung des Vorarlberger Literaturpreises 2023 statt. Der mit 10.000 Euro dotierte Hauptpreis ging an Mathias Müller, die drei zusätzlich ausgeschriebenen Stipendien in Höhe von jeweils 1.500 Euro an Manon Hopf, Nadine Kegele und Ingrid Maria Kloser. Bis auf Manon Hopf wurden alle Preisträger*innen schon einmal im Rahmen dieses Wettbewerbs ausgezeichnet. Da es sich wie immer um ein streng anonymisiertes Auswahlverfahren handelte und sich auch die Zusammensetzung der Jury mit den Jahren verändert hat, dürfte nun erwiesen sein, dass die Autor*innen ihre Erfolge der gleichbleibend hohen Qualität der eingereichten Texte zu verdanken haben.

Mathias Müller erhielt seinen Preis für den dramatischen Text Die Bühne wächst. In seinem Exposé schreibt Müller zwar: »Er ist nicht für die Bühne gedacht, lehnt die Bühne und alle Formen der Dramatisierung oder Illustrierung ab«, es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit sich dieses »Verbot« durchsetzen lässt. Denn, obwohl sich das Stück aufgrund der experimentellen Versuchsanordnung gegen eine Aufführung bewusst sträubt, sind Möglichkeiten vorstellbar, Müllers in paradoxen Schleifen wachsende Bühne dennoch auf die Bühne zu bringen.

Manon Hopf wurde für ihren Gedichtzyklus gebe dir mein gesicht. verwandlungen ausgezeichnet. Darin bestimmen vor allem Vögel die Art der lyrischen Bewegung: »alle fenster öffnen | im haus für die vögel meine | gedanken sind verrückt nach butter | entweder bitte ich sie | an den teller | oder pfeife sie hinaus«. Treffend beschreibt ein Jurymitglied Hopfs Leistung folgendermaßen: »Sie macht Frequenzen und Erfahrungen hörbar, die von der menschlichen Alltagssprache nicht erfasst werden können.«

Nadine Kegele reichte einen Ausschnitt ihres in Arbeit befindlichen Romans Unter Verwendung guter Gedanken ein. Tapfer versucht die Ich-Erzählerin diese Methode auf jener langen Zugfahrt anzuwenden, die sie nach dem Tod des Vaters zum Notar aufs Land führt. Bei ihrem Kind gelingt ihr das gut, bei ihrem Partner eher nicht: »Ich weiß, dass er kein Trottel ist, er ist zu intelligent für einen Trottel, aber ich will die Sachen meistens anders, als er sie eben macht, und so, wie ich sie will, ist es eben richtig.«

Ebenfalls ein Arbeitsstipendium erhielt Ingrid Maria Kloser für ihre Erzählung Zeichen. Darin lässt sie uns Anteil nehmen an der Gedankenwelt einer dreiundneunzigjährigen ehemaligen Volksschullehrerin, die sich dazu entschlossen hat, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Ein ehemaliger Schüler, der heute ihr Arzt ist, versucht sie von ihrem Entschluss abzubringen, doch sie scheint daran festhalten zu wollen. Denn wie heißt es im Text: »Der eine kann das Leben des anderen niemals fühlen, niemals.«

Wir gratulieren den Autor*innen zu ihrem Erfolg und freuen uns, die preisgekrönten Texte in Kooperation mit der Kulturabteilung des Landes Vorarlberg hier abdrucken zu dürfen.