miromente 79

Ich ergreife im Jubiläumsjahr die Gelegenheit, mich an jene zu wenden, die diese Zeitschrift noch nicht kennen. Die miromente wurde 2005 gegründet, feiert also heuer ihr 20jähriges Jubiläum. Von Anfang an war klar, dass dieses Projekt nur dann von Dauer sein wird, wenn es nicht gänzlich von den Förderungen der öffentlichen Hand abhängig ist, das heißt, wenn es möglichst viele Abonnent*innen für sich gewinnen kann. Auch heute noch bestreitet die Zeitschrift 50 Prozent ihrer Einnahmen aus Abonnements, allerdings sind die Zahlen rückläufig. Warum ich diese Tatsache erwähne, ist klar: Ich werbe um Sie als neue Leserinnen und Leser. Der finanzielle Einsatz ist gering, der Nutzen und das Vergnügen unserer Ansicht nach sehr groß. Für 24 Euro erhalten Sie vier Mal pro Jahr Einblicke in die aktuelle Arbeit vor allem regionaler, aber auch nationaler und internationaler Literatur- und Kunstschaffender, die von der Redaktion für eine Veröffentlichung eingeladen wurden.

Besonders die aktuelle Ausgabe ist ein Beispiel, wofür die miromente eine Publikationsplattform sein möchte. Sie enthält jene Texte von Tobias March, Bianca Tschaikner und Isabel Natter, die ihm Rahmen des „Vorarlberger Literaturpreis 2025“ von einer Jury ausgewählt und mit Preisen ausgezeichnet wurden. (Der Text des vierten Preisträgers Merlin S. Miller war leider nicht zum Abdruck frei). Die Zeichnungen stammen von Michaela Kessler, der Trägerin des „Kulturpreises Vorarlberg 2024“.

Die Arbeiten, die hier präsentiert werden, sind Ausdruck dessen, was junge Autoren*innen und Künstler*innen aus dem Land momentan inhaltlich und formal beschäftigt, und wofür sie ein interessiertes Publikum suchen. Mit dieser, der „Kultur“ beigelegten Großauflage, möchten wir ihnen dafür eine möglichst breite Öffentlichkeit verschaffen. Und zugleich machen wir auf unsere Zeitschrift aufmerksam, ein klassisch analoges, von der Künstlerin Sarah Rinderer sorgfältig gestaltetes Druckwerk für Literatur und Zeichnung, das gelesen, betrachtet, gesammelt, vor allem aber abonniert werden möchte.
Vielen Dank
Wolfgang Mörth

miromente 78 – März 2025

 

 

MICHALEA KESSLER
I put myself into an identity crisis
Zeichnungen

TOBIAS MARCH
beziehungen

BIANCA TSCHAIKNER
Die Kartographierung der Medina

ISABEL NATTER
A Foatîgë (eine Auswärtige)

 


Leseprobe:

beziehungen

von Tobias March

beziehungen 1
wie mein leben so beginne ich auch das alles mit dir mama oder mutter
wie du sagst nie nie schreib über mich und ich muss du weißt auch
ich muss über dich und mich diese „beziehung“ schreiben dieses
etwas das uns verbinden mag oder nicht dieses was uns trennt und über
kilometer über sieben stunden zugfahrt verbindet du wie du sagst dass ich nie
anrufe mich nie melde nie von meiner liebe erzähle und wieder du die
nie von meiner liebe hören mag die weint beim die nicht weiß wie wann
und was den kolleg:innen zu sagen und ich der sagt wtf als ob es nicht
andere themen bei fpö regierungsbeteiligung bei wirtschaftsbund
affäre bei frühlingsbeginn bei heirats- und schwangerschafts
plänen der schwester oder hausdekorationsauswahl geben würde
als wären alle friseur:innen mit ihren gesprächsstoffen aus-
gestorben bin ich für dein glück verantwortlich gedachte vor-
würfe die nie ausgesprochen werden denn ich weiß ja nicht ein-
mal wie ich dich ansprechen soll mama oder mutter wen ich an-
sprechen soll dialektfremd sei ich meinst du und machst mich da-
mit sprachlos heimatlos ich schreibe eh nicht über dich über
die familie ist mir fremd alles fremd bin ein anderer und heilsam sind
nur die zeiten in denen wir nebeneinander schweigen können

beziehungen 2
wie zigarettenrauch an mir nichtraucher haftet und mich verrät verräterische
duftwolken die poren durchdringen so hängt auch familie an jedem von uns
familiengeruch der verhaftet festhängt unverdauliche hausmanns-
kost nicht dass ich etwas gegen euch familie hätte kein aber nein
liebe is the place to be nein eher ein lost place liebe umgibt euch am
liebsten mag ich euch akzeptiere ich euch am meisten vermisse ich euch
wenn west und ost zwischen uns sind dann leben wir nebeneinander
ihr erzählt mir vom für mich gemachten bett vom warmen ofen von der oma
als argument damit ich wieder nach hause komme und mich um euch sorge
für die familie lebe und nicht für mich und mein glück sorge das nicht ganz
euer glück ist und deshalb erzählt ihr mir davon ich lasse mir natürlich nichts
anmerken und erzähle von meinen „erfolgen“ im studium und dass ich end-
gültige entscheidungen nicht mag und nicht weiß ob ich je wieder nach es stimmt
ich vermisse euch und manchmal ganz manchmal flüstere ich
dem mondlicht zu wie ich euch vermisse

gib acht vor männern
warum es nicht in der schule gelehrt wird warum nicht gewarnt wird
auf der österreichweiten app oder im world wide web werde ich wohl
nie erfahren werde nie erfahren warum bäume stabiler als männer sind
verheiratete männer alleinstehende männer faule männer be-
häbige männer bauchige männer ob professoren oder juristen oder musik
wissenschaftler künstler oder arbeiter flughafensicherheitsbeauf-
tragte manager tanzlehrer oder tischler in die man sich verliebt achtung
können bei kerzenlicht und beim spiel von carmen auf dem klavier einem was vor-
gaukeln über deine scherze lachen bis sie kommen bekommen und verschwinden
abzischen durch das dazwischen stau haben diese männer nie sind weg
und unerreichbar ich brauche die telefonleitung oder internet nicht zu bemühen
verliebe mich einfach nie wieder in männer umarme nur mehr bäume
die stehen auch die nächste woche noch am selben platz

walpurgisnacht
streiche am liebsten über das holz die ver-
narbungen und den krebs deine kallus-
wucherungen in denen ich mich so gut wieder
erkenne und das reicht mir für mein ganzes leben
brauche keine kinder und keine beziehung keine falsche
monogamie und hierarchische kirche und keinen staat
und kein patriarchat voller behäbiger männer und nachts
wenn es mir gut geht bei kerzenschein und mond-
schein wenn wein getrunken worden wenn ich dem teufel
und dem himmel manchmal dem teufel besonders nahe
bin dann verfluche ich die verflossenen männer hexe
mit langen fingernägeln und wenn später einer derer
die mich verlassen ignoriert oder geghostet weg-
geworfen und benutzt haben in der zeitung bei den
todesanzeigen steht dann lache ich selbst und gerecht
leise in mich hinein und laut nur wenn niemand da ist

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